Delligsen (red). Zehn Jahre hat es von der ersten Planungsidee bis zur Fertigstellung des Gesamtprojekts zur Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit der Wispe am FCH-Wehr in Delligsen gedauert. Zwei zentrale Ziele standen dabei im Mittelpunkt: Zum einen war das FCH-Wehr das erste Querbauwerk ab der Leinemündung und stellte ein unüberwindbares Hindernis für wandernde Wasserlebewesen dar. Zum anderen sollte durch eine Umgestaltung des Abflussprofils eine Absenkung der Wasserspiegellage im Oberwasser erreicht werden – zum Schutz der bebauten Grundstücke im Umfeld vor Hochwasser.
Die Wispe repräsentiert den Gewässertyp 6: feinmaterialreicher, karbonatischer Mittelgebirgsbach, und gilt landesweit als besonders bedeutendes Fließgewässer.
Vom Plan zur Umsetzung
Bereits 2015 wurden erste Planungen für die Umgestaltung des Gewässerbettes und den Rückbau der Wehranlage durch ein Ingenieurbüro ausgearbeitet. Ergebnis: Eine ökologische Durchgängigkeit der Wispe und ein verbesserter Hochwasserschutz sind möglich. Daraufhin konnten weitere Detailplanungen beauftragt werden. Der Höhenunterschied, den das Wehr verursachte, sollte ursprünglich durch sogenannte Sohlriegel auf einer langen Strecke zwischen Göttinger Straße und Chemex ausgeglichen werden. Eine dafür notwendige Absenkung der Sohle unter der Brücke Carlstraße war aus statischen Gründen nicht möglich – es wurden daher zwei Bauabschnitte gebildet.
Start mit Spundwand – und ersten Hürden
Die bauliche Umgestaltung begann 2017 mit dem Setzen einer Spundwand auf Höhe des Aldi-Parkplatzes. Diese Maßnahme war notwendig, um den Abflussquerschnitt der Wispe zu verbreitern und Platz für die Gestaltung einer Sekundäraue zu schaffen. Die Spundwand fängt rund drei Meter Höhenunterschied zwischen der Gewässersohle und der Pflasterfläche des Aldi-Parkplatzes auf etwa 50 Metern Länge ab. Sie wurde im Vorgriff auf das wasserrechtliche Verfahren per Baugenehmigung realisiert.
Da der Erwerb notwendiger Schlüsselgrundstücke im Bereich der Göttinger Straße sich schwierig gestaltete, wurde das Gesamtprojekt in einen ersten und zweiten Bauabschnitt unterteilt. So konnte zunächst der Abschnitt zwischen der Fußgängerbrücke Hochofenstraße und der Brücke Carlstraße realisiert werden – hier war das Eigentum bereits geklärt.
Naturnahe Umgestaltung
Nach der Genehmigung des ersten Bauabschnitts durch die Wasserbehörde im Jahr 2019 wurde ein alter, nicht mehr genutzter Steinmetzbetrieb gegenüber der Chemex abgerissen. Das Flurstück ging in den Besitz des Flecken Delligsen über und konnte ökologisch aufgewertet werden. Im Folgejahr, 2021, begannen nach öffentlicher Ausschreibung die Gehölz- und Wasserbauarbeiten an der Wispe. Bäume wurden gefällt, um das Gewässerprofil hochwassersicher aufzuweiten. Das entnommene Totholz sowie Wurzelteller kamen als Strukturelemente zurück ins Gewässer, zusätzlich eingebrachter Kies dient heute als Laichsubstrat für Fische.
Im Sommer 2022 gelang schließlich der Erwerb der fehlenden Grundstücke für den zweiten Bauabschnitt zwischen Carlstraße und Göttinger Straße. Der Leineverband stellte daraufhin den Antrag auf wasserrechtliche Genehmigung beim Landkreis Holzminden.
Anspruchsvoller zweiter Bauabschnitt
Der zweite Bauabschnitt begann 2024 und war baulich der aufwendigste Teil: Der Abriss des alten Betonwehres und der Bau des sogenannten Riegel-Becken-Passes – einer Fischaufstiegsanlage – verlangten umfassende Eingriffe. Auch in diesem Abschnitt wurden Gehölze gefällt und als Strukturmaterial wiederverwendet. Auf rund 100 Metern wurde ein neuer Gewässerverlauf modelliert. Der Riegel-Becken-Pass ermöglicht es Fischen und Kleinstlebewesen nun, die ehemals vier Meter Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser zu überwinden.
Der alte Zulauf zur Wehranlage wurde verfüllt, ein Stichkanal bleibt jedoch erhalten – hier mündet ein Regenwasserkanal in die ehemalige Wispe.
Strukturvielfalt und Hochwasserschutz
Über die gesamte Projektstrecke hinweg wurde das Gewässerprofil durch Bodenabtrag verbreitert und eine Sekundäraue geschaffen. Rund 12.000 Tonnen Boden wurden abgefahren. Damit erfüllt das neue Gewässerprofil die Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie: Die Wispe erhält wieder Raum für eine eigendynamische Entwicklung. Gleichzeitig wurde der Fließquerschnitt vergrößert und die Uferböschungen erhöht – ein wirksamer Schutz gegen Hochwasser für den Ort Delligsen.
Der Einbau von Kies und Totholz sorgt für unterschiedliche Strömungsverhältnisse und Wassertiefen – wichtig für die ökologische Vielfalt. Davon profitieren wirbellose Kleintiere ebenso wie Fischarten wie Bachforelle und Groppe, die jetzt aus der Leine kommend bis nach Kaierde aufsteigen können. Der renaturierte Abschnitt entspricht damit in weiten Teilen dem Leitbild für den Gewässertyp 6, den die Wispe landesweit repräsentiert.
Erfolgreicher Abschluss
Beide ursprünglich angestrebten Ziele – die Wiederherstellung der ökologischen Durchgängigkeit sowie der Schutz vor Hochwasser – konnten nach zehn Jahren realisiert werden. Das Land Niedersachsen stellte für das Projekt rund 1,8 Millionen Euro an Fördermitteln bereit. Die Trägerschaft und Bauherrenfunktion übernahm über den gesamten Zeitraum hinweg der Leineverband.
Foto: Leineverband